„Mainstream“
Ich halte mich grade in einem Biotop auf, in dem sich ein sehr realistischer Querschnitt von Menschen, die in Österreich leben, befindet.
Mein Tischnachbar ist ein sehr liebenswürdiger und kluger Arbeiter, der vor 20 Jahren aus Bosnien nach Österreich kam.
Drei Tischreihen schräg nach vorne sitzt – reiner Zufall! – ein Freund aus jenem rotarischen Club, in dem ich bis vor 12 Jahren Mitglied war.
Es gibt eine Ärztin als Patientin, einen Beamten aus der Steiermark, eine Verkäuferin aus Salzburg und ganz viele andere, die aus sehr vielen verschiedenen sozialen Gefilden stammen.
In den Wartezonen, im Speisesaal, in der Cafeteria, während der Anwendungen: Überall hört und sieht man, welche Vielfalt sich hier aufhält und was diese Menschen – abgesehen von ihrer Gesundheit – beschäftigt.
Für mich, der ich mich leidenschaftlich gern mit den Menschen beschäftige, wirkt all das wie ein klärender Filter, in dem überzogene, realitätsferne, vielleicht sogar arrogante Einschätzungen hängen bleiben.
Ja – es gibt auch hier unübersehbar jenes unvermeidliche Quantum an Vollkoffern, das es in jeder sozialen Gemengelage gibt. Aber wie überall anders auch, ist dieses Quantum in der Minderheit. Und wie überall anders auch, verschafft sich dieses Quantum ab und zu durch Lautstärke eine Dominanz, die ihm nicht zusteht.
Möchte man wirklich mit dem „Mainstream“ über wesentliche Themen diskutieren, lohnt es sich sehr, sich wenigstens ein paar Tage mit ihm das gleiche Biotop zu teilen. (Das ist jetzt überhaupt nicht schnöselig gemeint. Aber wir alle halten uns doch in Blasen auf, die uns nur einen sehr verengten Überblick über das große Ganze ermöglichen.)
Dann könnte man feststellen, dass es durchaus erfolgversprechend ist, positive Grundwerte wie Hilfsbereitschaft, Solidarität, persönliches Engagement, Empathie, Toleranz, Weltoffenheit, Zuhören, aufeinander Zugehen praktisch zu versuchen.
Man müsste halt aufhören, die kleinen Arschlöcher in jedem von uns zu triggern, um daraus ein hinterhältiges Spiel zu bauen.
Man müsste halt versuchen, eine positive Idee für das Zusammenleben in der Mischkulanz, die wir haben, zu entwickeln und so zu formulieren, dass diese Idee einen motivierenden Sinn ergibt.
Man sollte sich mit entsprechender Ausdauer wappnen und diese Ausdauer für das Lernen jenes Vokabulars zu benützen, das hilft, auch von weniger Gebildeten verstanden zu werden.
Nicht, um dieser Zielgruppe aufs Maul zu schauen und dann agitierende Gefälligkeiten abzusondern.
Sondern, um besser kommunizieren zu können,
besser zu verstehen und verstanden zu werden,
besser jene Werte des Zusammenlebens zu verbreiten, die zu einem Miteinander in der Vielfalt verhelfen.
Das muss man nicht neu erfinden.
Man muss es nur wiederfinden.
Und man muss aufhören, von „man“ zu reden.
„Man“ sind wir. „Man“ bin ich.