Generationen-Vertrag.
Ein junger Funktionär einer sehr wirtschaftsnahen politischen Partei beklagt auf Twitter, dass er unbedingt eine Änderung des Pensions-Systems haben will, weil er sich die ältere Generation auf derzeitiger Basis nicht mehr leisten können will/wird.
Die Gewerkschaft der Privatangestellten postet auf Facebook einen schlampig redigierten Beitrag, in dem ein Job als ambitionsloses Abarbeiten der Erwerbstätigkeit positioniert wird und die Lust und der Sinn des Lebens sich im Privatleben abspielen soll.
Als klassischen Boomer haben mich beide Statements zornig gemacht.
Beide Statements gefährden das, was man als „Generationenvertrag“ bezeichnet und somit etwas, das es zwar als schriftliche Vereinbarung nicht gibt, aber als gesamtgesellschaftlicher Grundkonsens seit Jahrzehnten praktiziert wird.
Was ist der Generationenvertrag?
Die Grundlage des Generationenvertrags ist das Verständnis der Gesellschaft als Solidargemeinschaft zur Verteilung des von der mittleren Generation erarbeiteten Einkommens. Die mittlere Generation unterscheidet sich von der jungen, indem die junge Generation erst die Grundlagen der Erwerbstätigkeit erwirbt und die ältere Generation nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ein legitimes Anrecht auf Versorgung im Alter hat.
In der Praxis bedeutet das, dass die jeweils mittlere Generation sowohl die Finanzierung der Ausbildungskosten der jungen, als auch die Absicherung der Pensionen der alten Generation übernimmt. In der Hoffnung – mehr ist es nicht, denn es gibt den „echten“ Vertrag ja nicht – dass die nachfolgende mittlere Generation ihre „Pflichten“ ebenso erfüllt, wie die aktuelle. Praktisch geschieht das in einem sogenannten Umlageverfahren, das einem de facto Solidarvertrag zwischen den Generationen gleichkommt. Dieses Umlageverfahren wurde mit wenigen Ausnahmen immer aus drei Quellen gespeist: Den Beiträgen der Arbeitnehmer, den Beiträgen der Arbeitgeber und staatlichen Zuschüssen, mit denen die Lücken zwischen Ist und Soll gestopft wurden – also wiederum aus den gesamtgesellschaftlichen Töpfen.
Streng genommen, ist es also nicht korrekt, wenn sich Angehörige der älteren Generation darauf berufen, nun ein Anrecht auf ihre Pensionen zu haben – mit dem Argument, sie hätten schließlich ja ein Leben lang brav eingezahlt. Die lebenslangen durchaus erheblichen Summen, die eingezahlt wurden, dienten der Finanzierung der Pensionen der Vorgänger-Generation und nicht dem Ansparen auf die eigene. Die jeweils eigene Pension wird von der Nachfolge-Generation berappt. Das ist der Trick und die Tücke dieses Systems. Es baut auf Treu und Glauben auf, dass alle Generationen ihre jeweiligen Aufgaben erfüllen, ohne dass es dafür eine wirkliche Garantie gibt. Wie allen einigermaßen aufmerksamen Beobachtern der soziodemografischen Entwicklung schon des Längeren klar ist, verschieben sich die Belastungen in diesem System ziemlich deutlich. Die älteren Generationen werden immer älter und zahlenmäßig stärker, sodass die jeweils mittleren Generationen immer mehr Menschen immer länger erhalten müssen. Das verlangt schon ein hohes Maß an Solidarität oder, wie manche es wertend behaupten: Leidensfähigkeit.
Dass in einem solchen Szenario die Herausforderung, bis in spätere Lebensjahre aktiv im Erwerbsleben zu verbleiben, zunimmt, ist nur logisch. Wer länger arbeitet, erhebt später Anspruch auf die Rente, finanziert länger die Pensionen der noch Älteren und entlastet somit die nachrückenden Erwerbstätigen.
Die Grenzen dieses Konzepts sind unübersehbar, denn irgendwann ist sowohl körperlich, als auch mental das Ende der Leistungsfähigkeit erreicht und schließlich blockieren die „Alten“ ja auch noch die Jobs für die nachrückenden „Jungen“.
Ich habe – um zum Anfang meiner Betrachtungen zurückzukehren – dem jungen Parteifunktionär geantwortet, dass ich mich vor Leuten wie ihm tatsächlich fürchte, denn ich bin dem Rentenalter schon recht nahe und habe Sorgen, dann von Leuten wie ihm abhängig zu sein. In einem Alter, in dem ich mich gegen unsolidarisches Verhalten viel schlechter werde wehren können, als jetzt noch. Ausnahme: Bei Wahlen sind dann Leute wie ich in der Mehrheit, aber ich will nicht, dass das Land wie beim Brexit in geriatrische Geiselhaft gerät.
Und ich habe der GPA zurückgepostet, dass mich das Grausen anspringt bei einer solch apathischen Auffassung von „Arbeit“ und ich mich frage, wie in einer derartig unambitionierten Grundstimmung so etwas wie Teamgeist oder Freude am Fortschritt überhaupt entstehen kann.
Ich musste an ein Gespräch denken, das ich kürzlich mit einem typischen Repräsentanten der „Gen Z“ (Generation Z, also alle, die um die Jahrtausendwende – Ende 90er, Anfang Nuller-Jahre – geboren wurden) geführt habe. In einem Fragebogen, den ich zur Team-Analyse verwende, gibt es folgenden Text, den die Befragten mit ja oder nein beantworten sollen: „Ich empfinde meine Arbeit und die des Teams als sinnstiftend“. Ich erntete ein Lächeln und erhielt die Antwort: „Nein, den Sinn hole ich mir nicht aus der Arbeit, den suche ich im Privatleben. Die Arbeit ist ein Job für mich, den ich so gut ich kann erledige und den ich brauche, um meine Rechnungen zu bezahlen.“
An dieser Stelle beginnt sich nun für mich eine gefährliche Spreizung zu öffnen.
Wenn diese Generation aus einer begreiflichen individuellen Sicht ihr Augenmerk auf die Finanzierung ihrer eigenen Bedürfnisse legt und diese Bedürfnisse einen sinkenden finanziellen Aufwand verursachen, weil die Vorgänger-Generation bereits die Eigentums-Wohnungen und Erbschaften zur Verfügung gestellt hat, dann sinkt auch das reale Einkommen, das aus einem 20- oder 25-Stunden-Job einfach nicht die gleiche Höhe erreichen kann, wie aus einem 35- oder 40-Stunden-Job.
Im selben Maß und Tempo sinken auch die Beiträge dieser Generation in den virtuellen Generationenvertrag und die Absicherung jener Renten, mit denen die Alten ein Leben lang „gerechnet“ haben.
Zugleich entwickelt sich eine hochinteressante Thematik: Die der 4-Tage-Woche.
In meiner beruflichen Praxis beobachte ich besonders in der Dienstleistung konkrete praktische Anwendungen. Die häufigste Form: 40 Stunden in 4 Tagen bei gleichem Lohn wie 40 Stunden in 5 Tagen. Die häufigste Anwendungsform: Die 4 Tage erstrecken sich von Montag bis Donnerstag, die Freitage sind die am häufigsten gewählten freien Tage. Das funktioniert gut bei den konkreten AkteurInnen, die Produktivität ist hoch oder sogar höher, als in 5 Tagen. Der Haken: Die KundInnen dieser Dienstleister wollen auch an den Freitagen versorgt werden und sind unzufrieden, wenn dann niemand da ist.
Warum bringe ich dieses Beispiel? Weil ich zutiefst davon überzeugt bin, dass der Name des Spiels, das wir spielen sollten, „Flexibilität“ ist. Wenn wir es schaffen, ein Konstrukt zu bauen, das 4 Tage Arbeit gleichmäßig auf 7 (sieben!) Tage der Woche verteilt, dann können diese 4 Tage praktisch auch Samstag und Sonntag miteinbeziehen. Und selbstverständlich MUSS dieses System auf Freiwilligkeit beruhen, weil man sich einfach auf den guten Willen der Arbeitgebenden nicht verlassen kann, nicht nur denen die Jobs zu geben, die auch am Wochenende arbeiten wollen. Die beiden Pole, die hier entstehen, sind Solidarität und Flexibilität.
Und somit schließt sich der Bogen zum Generationenvertrag.
Diesen über viele Generationen praktizierten Pakt kann und wird es nur dann weiterhin geben können, wenn die nachrückenden Generationen mit der Sicherheit leben können, dass sie ihr Arbeitsleben so flexibel gestalten dürfen, wie sie es brauchen. Das könnte ein sinnstiftendes Argument sein, um jene in Sicherheit zu halten, die ihren eigenen Broterwerb nicht mehr stemmen, aber doch auch dafür belohnt werden wollen, dass sie die Ausbildung der Jungen und die Versorgung der Vorgänger-Generation übernommen haben.
Zugleich müsste den „Jungen“, die nachvollziehbar darunter leiden, was die „Alten“ der Umwelt und dem Klima angetan haben, klar werden, dass das gesamte System, das sie aktuell als belastend empfinden, irgendwann auch zu ihrer eigenen Versorgung herhalten muss. Und dass deswegen eine Aufkündigung des vielgeschmähten Generationenvertrags eine sehr gefährliche Angelegenheit für die eigenen späten Jahre darstellt.
Plus: Der Gedanke der Solidarität braucht eine Vitaminspritze für seine ganz allgemeine Relevanz. Wenn es „uns allen“ nicht gelingt, aus den Grenzen des eigenen Schrebergartens auszubrechen, wird die Welt zu einem Kleingartenverein, den „wir alle“ mit vereinten Kräften in die Luft sprengen werden.
Das beginnt bei Themen wie einem „Bedingungslosen Grundeinkommen“ und endet bei dem weiten Land der „Migration“. So wie es derzeit ist, kann es jedenfalls nicht bleiben.